2iPM009

Magdalena Fernández (*1964 in Caracas, lebt in Caracas) zählt zu den wichtigsten Vertreterinnen einer zeitgenössischen reduktionistischen Kunst in Venezuela. Fernández, die vor ihrer künstlerischen Laufbahn Mathematik und Physik studierte, setzt sich in der Tradition der lateinamerikanischen, insbesondere der venezolanischen konstruktiven Tendenzen mit grundlegenden Fragen der geometrischen Abstraktion auseinander. Seit den 1950er Jahren hat sich in Venezuela eine eigene, aussergewöhnlich sinnliche Spielart der konstruktiven Kunst entwickelt. – Beispielhaft dafür sind etwa die organisch anmutenden Installationen von Gego (Gertrude Goldschmidt) oder die kinetischen, teils begehbaren Arbeiten von Jesús Rafael Soto. Mit diesem Interesse an dem sinnlichen Potenzial der Geometrie verbindet Fernández in ihren Werken minimalistische Ansätze mit einer intuitiven Annäherung an Formen und Prozesse der Natur.

In ihren Videoinstallationen durchlaufen geometrische Formen durch Licht und Bewegung subtile Verwandlungen und gewinnen so einen organisch-lebendigen Charakter. Die hier gezeigte Arbeit 2iPM009 (2009) gehört zu einer Werkgruppe, die Fernández als «Mobile Paintings» (Bewegliche Gemälde) bezeichnet. Auf der schwarzen Projektionsfläche entsteht durch Licht und Animation ein komplexes Formgewebe: Aus Punkten werden Linien, aus Linien werden Kreuzstrukturen, und so entwickelt sich ein immer dichteres Netz aus weissen Horizontalen und Vertikalen, die wie vibrierende Minus- und Pluszeichen erscheinen. Sie erinnern an Mondrians frühe, horizontal-vertikal gegliederte Kompositionen, etwa an seine Skizzenreihen «Kirchenfassade» oder die Bilderserie «Pier und Ozean» (1914/15). Für Mondrian markierten diese Studien mit dicht nebeneinandergesetzten, kurzen schwarzen Balken auf weissem Grund den entscheidenden Schritt weg von Naturnachahmung und Raumillusion zu einer ungegenständlichen, flächenbezogenen Malerei. Fernández bindet diese von Mondrian ursprünglich aus der Natur abgeleiteten geometrischen Grundformen wieder zurück an die Natur; es geht um die Wechselbeziehung zwischen Geometrie und Empfindung und um einen Kerngedanken der konkret-konstruktiven Kunst: dass die Geometrie als eine universale Ausdrucksform für alle Erscheinungen zu verstehen ist.

Wie in vielen anderen Werken von Fernández ist es auch in 2iPM009 der begleitende Sound eines Naturereignisses, der die Veränderungen der geometrischen Formen choreografiert: synchron mit der Rhythmik des sich verstärkenden Regengeräusches verdichten sich die Punkte und Linien zu einem Liniengeflecht, das in Donnerschlägen seinen pulsierendsten Ausdruck findet. Hier klingen auch die installativen, das Publikum unmittelbar einbeziehenden Werke des venezolanischen Künstlers Jesús Rafael Soto (1923–2005) an. Soto entwickelte ab den 1960er Jahren begehbare Rauminstallationen («Pénétrables ») aus herabhängenden, transparenten Nylonfäden, die ebenfalls Analogien zu «Regenfäden» evozieren. Was in Fernández’ Installation wie die Aufnahme eines realen Regengewitters klingt, ist tatsächlich ein akustisches Werk des slowenischen Chors «Perpetuum Jazzile», der mit Perkussion – Hand, Körper und Stimme – das raumgreifende, synästhetische Szenario eines gewaltigen Naturereignisses entstehen lässt.

Magdalena Fernández machte am Design Institut der Neumann Foundation in Caracas eine Ausbildung als Grafikdesignerin und war 1985–1993 in Caracas und Mailand tätig. 2009 war sie im venezolanischen Pavillon der 53. Biennale di Venezia vertreten und wurde international mit Einzelausstellungen gewürdigt, u.a. im Museo de Arte Contemporáneo, Caracas (2006) und der CIFO – Cisneros Fontanals Art Foundation, Miami (2006) sowie in Gruppenausstellungen in wichtigen Institutionen wie dem Drawing Center, New York (2006) und dem Miami Art Museum (2004). Mit der Ausstellung im Haus Konstruktiv ist Fernández’ Werk zum ersten Mal in der Schweiz zu sehen.

Christina von Rotenhan
Haus konstruktiv
Zúrich, 2010
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